Emotionale Kreuzfahrt durch NRW - Theater Koblenz begeistert mit Stings "Last Ship" bei Gastspielen in Leverkusen und Remscheid

24.11.2024

Ein paar Hafenstädte hat auch das eher küstenferne Nordrhein-Westfalen zu bieten. "The Last Ship", das Musiktheaterstück von Weltstar Sting, ging aber zuletzt diese Woche im Forum Leverkusen und im Teo-Otto-Theater Remscheid vor Anker. Das Ensemble des Theater Koblenz war zu Gast und erweckte die an die Kindheits- und Jugenderinnerungen des britischen Musikers angelehnte Geschichte auf unvergleichliche Weise zum Leben.  

Der Nordosten Englands war lange Zeit stolz auf seine florierende Kohle-, Stahl- und Schiffsindustrie. Durch die beginnende Globalisierung, sowie die Streichung staatlicher Subventionen in der Thatcher-Ära stehen jedoch alle diese Industriezweige vor dem Aus. Auch die Werft in Wallsend, einem kleinen Vorort von Newcastle, muss von heute auf morgen schließen. Neben dem wirtschaftlichen Kollaps einer ganzen Region droht den Arbeitern der Verlust ihres Selbstwertgefühls, ihres Lebenssinns, ja ihrer Existenzberechtigung. Vorarbeiter Jackie White versucht alles, um für seine Leute das Beste aus der Situation herauszuholen, doch hat er gleichzeitig insgeheim noch eine mindestens genau so schwere Schlacht mit sich selbst zu schlagen.

Ausgerechnet in diese Gemengelage kehrt nach 17 Jahren auf See Gideon Fletcher zurück, der damals überstürzt vor seinem Schicksal geflohen war. Nach einem schweren Arbeitsunfall hatte Gideons Vater von ihm gefordert, seinen Platz in der Werft einzunehmen. Doch für immer in dieser sterbenden Stadt festzuhängen, war die schlimmste Zukunft, die Gideon sich ausmalen konnte. So verließ er schweren Herzens seine geliebte Freundin Meg, mit dem Versprechen auf den Lippen, zu ihr zurückzukehren, sobald er einen geeigneten Ort für ihr gemeinsames Leben gefunden hätte. Das Wiedersehen des ehemaligen Pärchens verläuft weit weniger harmonisch als von Gideon erhofft – und dann hat Meg auch noch eine 16jährige Tochter... 

"The Last Ship" ist ein anrührendes, mitreißendes und auch witziges Ensemblestück, in dem jede handelnde Person wie im wahren Leben Hauptfigur ihrer eigenen Geschichte ist. Immer wieder geht es um Gemeinschaft, Solidarität und Miteinander, um konstruktive Kommunikation und gegenseitiges Verständnis, aber auch darum, seinen Standpunkt zu vertreten und um seine Rechte zu kämpfen: im Kleinen, wenn junge Erwachsene sich von ihren Eltern zu emanzipieren versuchen, um eigene Entscheidungen zu treffen und eigene Fehler zu machen, aber eben auch im Großen, wenn Änderungen in der britischen Wirtschaftspolitik dazu führen, den Wert eines Menschen anhand dessen zu taxieren, was er die Gesellschaft kostet, womit er ganz schnell als "rein wirtschaftlich entbehrlich" eingestuft werden kann. 

Die Thematik trifft ins Schwarze

Sowohl in Leverkusen als auch in Remscheid ist im Zuschauerraum deutlich spürbar, wie solche Momente ganz besonders einen Nerv beim Publikum treffen. Nach den Beschwernissen der Corona-Pandemie, und in einem von Kriegen, Zukunftsängsten und gespaltener Gesellschaft geprägten Alltag, sehnt man sich offensichtlich sowohl nach versöhnlichen als auch nach kämpferischen Elementen, und ganz allgemein nach Hoffnungszeichen.

Auch darüber hinaus überzeugt das Stück mit Themen, von denen die meisten Menschen sich angesprochen fühlen dürften. Generationenkonflikte zwischen Eltern und Kindern, Erwartungen, Abschied, Loslassen und Tod, verpasste Chancen, Freundschaft, Liebe und vieles mehr werden auf der Bühne abgebildet und regen uns, zum Teil auf angenehm humorvolle Weise, zum Nachdenken an. Wiederholt fallen im Rahmen der Dialoge aus heiterem Himmel Sätze, die aufhorchen lassen, da sie von philosophischer Qualität und doch zugleich erfreulich bodenständig sind.

Durchgängig exzellente Musik mit Gänsehaut-Garantie

Musikalisch kommen nicht nur eingefleischte Fans von Sting voll auf ihre Kosten. Ebenso gefühlvoll wie virtuos live von der vielköpfigen Band performte Lieder machen im Verhältnis zu gesprochenen Dialogen mindestens einen Anteil von 50% aus. Der schon immer sehr wandlungsfähige Songwriter erdachte für dieses Projekt ebenso folklastige Balladen wie auch sehr schwungvolle Stücke, die durch ihre Instrumentierung mit Violine, Akkordeon oder Northumbrian Pipes an traditionelle schottische oder irische Klänge erinnern. Häufig mehrstimmiger Gesang mit sehr reizvollen Harmonien, zum Beispiel im Titelsong, sorgt für angenehme Gänsehaut, und manche Lieder sind feinster contemporary pop – nicht nur die drei bekannten Sting-Hits aus den 1990ern, die für das Musical in Text und Arrangement überarbeitet wurden.  

Koblenzer dürfen gerne wiederkommen

Das sehr poetisch gestaltete Ende der Story mag zunächst nicht so richtig zur bisher so realitätsnahen, pragmatisch ausgerichteten Handlung passen, unterstreicht aber dennoch eine der so erbaulichen Kernaussagen des Stücks: wenn es einer Gemeinschaft an einem so düsteren, gefährlichen und ungemütlichen Ort wie einer Werft gelingt, ihre bestehenden Differenzen zu überwinden, zusammen für ihre Anliegen zu kämpfen und wie in einer Familie aufeinander achtzugeben, sollte dies überall und auch uns möglich sein. Es ist die Hoffnung hierauf, getragen von toll gesungenen und gespielten Songs und erstklassigem, enthusiastischen Schauspiel, die Zuschauerinnen und Zuschauer nach drei Stunden so beschwingt, positiv aufgewühlt und mit warmen Emotionen den Heimweg antreten lässt.  

An beiden Spielorten erntet das Koblenzer Ensemble minutenlange, euphorische stehende Ovationen, überzeugt also auch "auswärts" auf Anhieb. Sowohl im Forum Leverkusen, das im direkten Vergleich mit seiner Kapazität, seinem Gesamtkonzept sowie funktionalem Design und moderner Ausstattung punkten kann, als auch im Teo-Otto-Theater Remscheid, das den größeren Charme, die ausgeprägtere Individualität und etwas längere Tradition für sich beanspruchen darf, hat es ganz den Anschein, als dürften die Rheinland-Pfälzer jederzeit gerne wiederkommen - egal ob per Schiff oder mit einem anderen Transportmittel. 


Ein Aushang im Forum Leverkusen informiert über die Crew des "Last Ship"
Ein Aushang im Forum Leverkusen informiert über die Crew des "Last Ship"

Meine frühere ausführliche Rezension einer Aufführung von "The Last Ship" im Theater Koblenz vom 01. Juni 2024 gibt es hier.

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