Gladiatoren, Wagenrennen, und ein 86jähriges Zugpferd
In einer der jüngsten Neuerscheinungen von Amazon Prime geht es ins alte Rom – ein sehr beliebter, aber schon seit einer Weile nicht mehr angesteuerter Serienschauplatz. Macht- und Überlebenskämpfe werden in der ewigen Stadt auf allen Ebenen und quer durch alle sozialen Schichten ausgefochten.
Einer der verrücktesten Trends auf Social Media bestand vor einer Weile darin, dass Frauen ihren Partner fragen, wie oft er im Schnitt über das Römische Reich nachdenke. Erstaunlich viele Männer antworteten: "jede Woche" oder sogar "mehrmals am Tag". Die Ursache dafür könnte sein, dass im alten Rom viele politische und gesellschaftliche Grundlagen gelegt wurden, die sich bis in die Gegenwart zumindest in Ansätzen wiederfinden.
79 nach Christus ist Kaiser Vespasian (Anthony Hopkins) der betagte Lenker des Römischen Reiches, dessen Söhne Titus (Tom Hughes) und Domitian (Jojo Macari) schon zu seinen Lebzeiten längst um die Position seines Nachfolgers streiten. Als großes Vermächtnis will der Kaiser das kurz vor Fertigstellung befindliche Kolosseum hinterlassen, das im Gegensatz zum Circus Maximus ein Amphitheater vom Volk für das Volk sein soll.
Doch nicht nur an der Spitze des Staates gibt es ein Hauen und Stechen. Die vier Rennställe, die traditionell die Wagenrennen im Circus Maximus bestreiten, gelten als Prestigeobjekt für die reiche Oberschicht. Entsprechend begehrt und kostspielig sind Anteile an den Faktionen, wie man die antiken Formel-1-Teams nennt. Die Fahrer, allen voran der narzisstische Scorpus (Dimitri Leonidas) sind ebenso berühmt wie beliebt und verdienen außerordentlich gut – fast wie bei uns wird jede Menge Geld durch Wetteinsätze in den Sport gepumpt. Und die Wetten organisiert in erster Linie Tenax (Iwan Rheon), den viele Fans als Ramsay Bolton aus "Game of Thrones" leidenschaftlich gern gehasst haben. In seiner neuen Rolle gibt er sich etwas vielschichtiger, nicht ganz so grausam, vereinzelt sogar gütig. Doch weiß er als jemand, der sich ohne fremde Hilfe aus der Gosse nach oben gearbeitet hat, dass man oft genug auch unbarmherzig sein muss, um zu überleben.
Während Marsus (Rupert Penry-Jones), ein Patrizier, und seine Frau Antonia (Gabriella Pession) ganz im Stile von "MacBeth" in Richtung des Thrones schielen und gefährliche Intrigen spinnen, treffen wir auch einige Protagonisten, die ganz unverschuldet in dieses Haifischbecken geraten. So wie drei junge Brüder, die eigentlich nur hoffen, ihre liebevoll gezüchteten Pferde zu verkaufen, dann aber als Stallburschen haften bleiben. Oder drei numidische Geschwister, die aus ihrer Heimat verschleppt werden, weil die ältere Schwester (Kyshan Wilson) zum Schutz der jüngeren (Alicia Edogamhe) einen römischen Besatzer tötete. Die beiden Mädchen werden als Sklavinnen verkauft, ihr Bruder Kwame (Moe Hashim), der bisher Löwen für die Spiele in Rom einfing, wird selbst zum Gladiator. Cala (Sara Martins), die verzweifelte Mutter der drei, reist ihnen nach und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um ihre geliebten Kinder irgendwie wieder freizubekommen. Doch verfügt sie weder über genügend Geld noch Beziehungen, die einzigen beiden Währungen, mit denen man in Rom etwas bewirken kann.
Für "Those About to Die", so scheint es, wurden Filme und Serien wie "Rome", "Gladiator", "Spartacus" und "Game of Thrones" in den Mixer geworfen und gründlich püriert. Eigentlich jedoch sind die historischen Aufzeichnungen von Tacitus und Sueton Grundlage der Story, wobei diese bereits eher zur Unterhaltung als zur Dokumentation geschriebenen Vorlagen zusätzlich noch einmal frei dramatisiert wurden, und damit nur bedingt als lebendig gewordene Geschichtsstunde dienen können. Auch historisch Bewanderte brauchen somit immerhin nicht zu befürchten, schon von vorneherein zu sehr gespoilert zu sein.
Abweichungen von historischen Fakten treten in den meisten Fällen gut begründet auf – man konzentriert die realen und nicht ganz so realen Geschehnisse auf einen großen, aber nicht überbordenden Cast, dessen charismatisches Zugpferd in mehrfacher Hinsicht ganz klar Anthony Hopkins ist. Zuletzt hatte er für seine Rolle in "The Father" noch einmal einen hochverdienten Oscar eingesammelt, und auch als römischer Kaiser überzeugt er in seinen wenn auch wenigen Szenen dennoch auf ganzer Linie, wird zudem mit dafür gesorgt haben, dass man die neue Serie überhaupt interessiert und neugierig zur Kenntnis nimmt.
Er und vierzig weitere Darsteller*innen tragen gemeinsam die dichte Story, in der es keine wirkliche Hauptfigur gibt, sondern alle ein Stück ihrer eigenen Lebensgeschichte erzählen. Die Drehbücher, größtenteils geschrieben von Robert Rodat ("Der Soldat James Ryan"), verknüpfen dabei immer wieder die Schicksale all dieser Figuren, lassen ihre Wege einander kreuzen und mit unterschiedlichen, oft unvereinbaren Interessen und Zielen aufeinander prallen. So sind eine Menge spannender Konflikte vorprogrammiert, und längst nicht in allen Fällen ist es so einfach wie es vielleicht zunächst scheint, sich auf eine Seite zu schlagen.
Trotz Beteiligung von Regisseur und Produzent Roland Emmerich kracht und explodiert es im Laufe der zehn Episoden umfassenden ersten Staffel nicht ganz so häufig, wie man vermuten könnte. Allerdings wird der Anspruch, eine Serie für Erwachsene produziert zu haben, wie in diesem Genre üblich unter anderem durch Zurschaustellung von Sex und drastischer Gewalt untermauert. Während die Show auch mit etwas subtilerer Optik durchaus funktionieren würde, holt man zur Sicherheit auf diese Weise zusätzlich auch noch entsprechende Genre-Fans ab.
Allgemein ist die Stimmung überwiegend düster, das Leben ist hart, und das Überleben scheint für manche beinahe unmöglich. Gleichwohl sterben bisher zumindest gefühlt nicht gar so viele Charaktere, wie wir dies von "Game of Thrones" oder "The Walking Dead" kennen. Gewisse Figuren scheinen angesichts der Gefahren, die sie beinahe unbeschadet überstehen, unter dem persönlichen Schutz entweder der Götter oder des Showrunners zu stehen. Das ist so aber auch in Ordnung, denn eben diese Figuren sind interessant und tiefgründig genug, um sie ins Herz zu schließen – trotz oder auch teilweise wegen ihrer Schattenseiten. Von Folge zu Folge gewinnen sie an Kontur und von den wenigen, die uns bereits verlassen, verabschiedet man sich doch eher mit Bedauern als mit Erleichterung. Wer also von der ersten Episode noch nicht sofort richtig gepackt ist, für den könnte es sich lohnen, durchzuhalten und weiter dranzubleiben.
Während die CGI-Effekte teilweise in Rezensionen gelobt werden, gehören sie für mich leider eher zu den Minuspunkten der Reihe. Das Intro wirkt, als habe man ChatGPT gebeten, einen Vorspann à la "House of the Dragon", allerdings im Stile von "Westworld" zu erstellen – nur in doppelt so steril. Das Blut, mit dem Rom nach und nach geflutet wird, fließt extrem unnatürlich. Und sehr häufig wirken Szenen im Circus Maximus oder im Kolosseum arg so, als würden ein paar Akteure vor einer Projektionsleinwand stehen, auf die der Hintergrund ihrer Umgebung geworfen wird. Das ist ein kleiner Makel, der aber durch ansonsten tolle Ausstattung und Kostüme sowie Kampfchoreographien wieder wettgemacht wird. Und so freue ich mich darüber, dass eine zweite Staffel zumindest inoffiziell schon mehr oder weniger bestätigt wurde.