Moralisches Dilemma eines unfreiwilligen Glückspilzes

26.06.2025

Verschwenden wir nicht regelmäßig Zeit damit, darüber nachzudenken, dass wir eigentlich genug oder sogar mehr als genug Geld zur Verfügung haben? Nein? Nun, der frischgebackene Familienvater Richard tut dies schon. Bis er sich entschließt, einen exorbitanten Lottogewinn gar nicht erst einzufordern. Wie werden seine Angehörigen darauf reagieren? Antworten auf diese und noch weitere Fragen bietet derzeit das Ensemble des Grenzlandtheaters Aachen.  

Richard (Marcus Abdel-Messih) eröffnet seinem Freund und Chef Etienne (Christian Bindert), Mutter Rose (Michaela Hanser) und Ehefrau Claire (Cynthia Thurat, v. l.) eine große Neuigkeit. Foto: Dominik Fröls.
Richard (Marcus Abdel-Messih) eröffnet seinem Freund und Chef Etienne (Christian Bindert), Mutter Rose (Michaela Hanser) und Ehefrau Claire (Cynthia Thurat, v. l.) eine große Neuigkeit. Foto: Dominik Fröls.

Richard ist visionärer, ehrgeiziger Architekt in der Firma seines besten Freundes Etienne, während seine Frau Claire, gerade vor zwei Monaten Mutter eines Sohnes geworden, als Lehrerin ein geregelteres, wenn auch nicht besonders hohes Einkommen beisteuert. Neben Etienne hat Richard noch seine Mutter Rose zum Abendessen eingeladen, die schon seit rund 30 Jahren verwitwet und immer noch auf der Suche nach ihrem Traummann ist. Während das Baby nebenan schläft, sollen alle drei Liebsten von Richard gemeinsam erfahren, dass er einerseits Dutzende Millionen Euro im Lotto gewonnen hat, jedoch gedenkt, auf dieses Geld zu verzichten.

So viel Mühe sich der Glückspilz wider Willen (Marcus Abdel-Messih) auch gibt, um den entgeisterten Anwesenden seine Beweggründe näherzubringen, so viele humanistische, altruistische Argumente allein schon durch seine beseelt schimmernden Augen zu sprechen scheinen, erntet er gelinde gesagt Unverständnis. All seinen Idealismus, so werfen ihm seine Mutter Rose (Michaela Hanser), Ehefrau Claire (Cynthia Thurat) und Freund Etienne (Christian Bindert) vor, sollte man sich finanziell auch erlauben können.

Die anschließend einsetzende, heftige Diskussion ist der Startschuss für sehr spannende moralisch-ethische und philosophische Fragen, die vor allem Thurat in der Rolle der sich hintergangen gefühlten Ehefrau dazu einladen, in ihrer unnachahmlichen Art mehrfach von Null auf Hundert hochzuschalten. Während beispielsweise Richard sich auf den Standpunkt stellt, seinen Gewinn noch gar nicht geltend gemacht zu haben, wodurch sich also der Ist-Zustand in keinster Weise verändert habe, scheint die Perspektive seiner drei aus allen Wolken fallenden Zuhörer*innen die zu sein, sie hätten das Vermögen praktisch schon in Händen gehalten und gleich wieder verloren.

Wie sich zeigt, hat Richard nicht Unrecht mit einem seiner Hauptargumente, Geld mache letztlich nur unglücklich und sorge für Streit. Auch seine Familie hat einen Punkt, wenn sie wiederum zu bedenken gibt, mit einem derartig hohen Gewinn hätte Richard sich selbst, seine junge Familie und den Betrieb seines Freundes nachhaltig aller Sorgen entledigen können. Doch wäre dies mit dem zivilisatorischen Allheilmittel Geld tatsächlich befriedigend und nachhaltig gelungen? Zweifel daran bleiben bis zum Schluss, vor allem für Menschen, denen ehrliche, also nicht erkaufte Anerkennung und Erfolge wichtig sind. So wie Richard, dessen Idealismus Abdel-Messih mit jedem Atemzug maximale Glaubwürdigkeit verleiht. 

Das Bühnenbild, eine Dachgeschosswohnung inklusive Schrägen und hölzernen Stützbalken, strotzt vor Realismus und Detailverliebtheit. Da stehen selbst von Thurat und Abdel-Messih nachgestellte Familienfotos im Regal, obwohl man dies zumindest aus den hinteren Reihen mit Gewissheit schon nicht einmal mit Adleraugen mehr wird erkennen können. Will man an diesem Abend unbedingt ein Haar in der Suppe suchen, dann ist es vielleicht die Rolle der Oma Rose, die vor allem im ersten Akt vor der 15minütigen Pause wie am Fließband fast ausschließlich Pointen abfeuert. Zwar sitzen diese ausnahmslos und sorgen für jede Menge hörbarer Erheiterung im Publikum. Dafür, dass Rose dadurch ein wenig wirkt wie eine Figur aus einer TV-SitCom, kann Michaela Hanser wohlgemerkt nichts, Dies stellt sich spätestens im zweiten Akt heraus, in dem sie deutlich mehr seriöse, konstruktive Wortmeldungen beitragen darf. Schon erhält ihre Rolle auf angenehme Art wesentlich mehr Tiefe.

Ist Geld also das geeignete, bestmögliche oder gar einzige Transportmittel hin zu Orten des Glücks und der Sicherheit, oder eher die unvermeidliche Wurzel von Gier, Selbstsucht und Feindseligkeiten? Hierzu gibt die Komödie von Flavia Coste, inszeniert von Ingmar Otto, keine explizite, allgemeingültige Antwort – auch wenn die Bilder der letzten Szene eine recht deutliche Sprache sprechen, und wohl wie im Bühnenstück auch im wahren Leben jeder Mensch den für sich besten Umgang mit diesem so existenziellen Sujet finden muss. 

Nicht nur wie hier am Premierenabend gab es anschließend Standing Ovations vom begeisterten Publikum im Grenzlandtheater für die vier Akteur*innen auf der Bühne. Foto: Dominik Fröls.
Nicht nur wie hier am Premierenabend gab es anschließend Standing Ovations vom begeisterten Publikum im Grenzlandtheater für die vier Akteur*innen auf der Bühne. Foto: Dominik Fröls.

Noch bis einschließlich 16.07.2025 läuft "Nein zum Geld" (fast) täglich im Grenzlandtheater, vom 31.08. - 08.09.2025 geht das Ensemble anschließend auf Tour durch die Städteregion. Alle Termine sind hier abrufbar.  

Alle Fotos: Dominik Fröls für das Grenzlandtheater Aachen. 

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