"Ripley" - Alter Klassiker wird zum neuen Augenschmaus
Schon 1955 veröffentlichte Patricia Highsmith den ersten ihrer Kriminalromane über den "talentierten Mr. Ripley". Die Geschichte eines jungen Trickbetrügers, der eines Tages beschließt, dem Sohn eines reichen Geschäftsmanns gleich dessen ganzes Leben zu stehlen, erwies sich als ebenso beliebt wie erfolgreich. Es folgten vier weitere Romane, sowie zwei Verfilmungen, von denen die erste mit Alain Delon als Tom Ripley hierzulande unter dem Titel "Nur die Sonne war Zeuge" bekannt wurde. Die zweite mit Matt Damon in der Hauptrolle behielt den Buchtitel bei.
Seit diesem Jahr gibt es zudem eine achtteilige Mini-Serie, die ebenso den Stoff des ersten Buches adaptiert, von Netflix produziert wurde und schlicht und ergreifend "Ripley" heißt. Bietet sie auch inhaltlich wenig Überraschendes oder Neues, kann sie dennoch punkten mit einem tollen Cast und beinahe durchgängigen optischen Highlights.
Dakota Fanning und Johnny Flynn spielen dabei ein Pärchen, das aufgrund einiger Parallelen im malerischen Küstendörfchen Atrani bei Neapel zusammenfand: beide stammen aus den USA, wollen aber in Europa dem Leben entfliehen, das zu Hause bereits für sie vorgezeichnet schien, und ihren künstlerischen Ambitionen nachgehen - Marge Sherwood schreibt ein Reisebuch über ihren Aufenthalt in Atrani, und Richard "Dickie" Greenleaf versucht sich mit Pinsel und Staffelei, beide allerdings eher schlecht als recht. Wären sie nicht durch ihre familiären Hintergründe finanziell derart abgesichert, hätten sie wohl beide ihre Kunst schon längst aufgegeben.
In diesem sorg- aber irgendwie auch belanglosen italienischen Idyll taucht plötzlich Tom auf, vorgeblich ein alter Bekannter von Dickie, an den dieser sich zwar nicht erinnern kann, jedoch auch nicht unhöflich sein will. Tom wird gespielt von Andrew Scott, der schon in mehreren Serien höchst erfolgreich von sich reden machte. Den Durchbruch schaffte er als "Moriarty", kongenialer und diabolischer Gegenspieler von Benedict Cumberbatch in der BBC-Reihe "Sherlock", später sorgte er nicht nur bei Autorin und Hauptdarstellerin Phoebe Waller-Bridge, sondern auch bei vielen Zuschauerinnen für weiche Knie in seiner Rolle als "hot priest" in "Fleabag". Dann wiederum verstand er es, Kritiker wie Publikum in seinem jüngsten, sehr einfühlsamen und fantasievollen Kinofilm "All of us Strangers" beinahe durchgängig zu Tränen zu rühren.
Als Ripley darf Scott nun soziopathische Züge an den Tag legen. Im Vortäuschen von Gefühlen ist Tom begabt, vor allem gegenüber Dickie, der sich sehr empfänglich für Schmeicheleien und allgemein ein wenig Ablenkung vom tristen Alltag zeigt. So kann Tom ihm gegenüber auch bald mit der Wahrheit herausrücken, dass nämlich Vater Greenleaf ihn beauftragt habe, dafür zu sorgen, dass Dickie seine zeitverschwenderische Posse im Ausland beende und in die Heimat zurückkehre, um dort den Familienbetrieb zu übernehmen. Typisch opportunistisch erzählt er ihm sogar die ganze Wahrheit, nämlich, dass er nie vorhatte, Dickie von irgendetwas zu überzeugen, sondern in erster Linie die Gratis-Reise nach Italien abstauben wollte. So empfindet Dickie ihn nicht als Bedrohung, sondern lädt Tom sogar ein, Dauergast in seinem Strandhaus zu werden. Der skeptischen und wesentlich intelligenteren Marge gegenüber hat Tom hingegen längst kein so leichtes Spiel - zumindest noch nicht...
Sei es aufgrund der Buchvorlage oder einer der beiden bisherigen Verfilmungen - die Inhalte der Geschichte um Thomas Ripley sind vergleichsweise weit verbreitet und zumindest in groben Zügen bekannt. Hier entschließt sich ein junger Mann, einen anderen in einer Mischung aus Bewunderung, Eifersucht, Neid und Hass aufgrund letztlich verschmähter Zuneigung zu ermorden und dessen Platz einzunehmen.
In dem Wissen um jene Bekanntheit der Handlung setzt Regisseur und Autor Steven Zaillian in seiner achtteiligen Miniserie nicht zuvorderst auf Spannung, sondern spielt andere Trümpfe aus. Mit einer Laufzeit von weit über sechs Stunden ist die cineastische Leinwand, auf der Zaillian sich austoben kann, bei Weitem größer als im Falle klassischer Spielfilme. Diese vorhandenen Räume nutzt er sehr schön, um darin intensive Charakterstudien der Hauptfiguren unterzubringen. Alle wichtigen Personen erhalten gemeinsam, aber auch mal nur für sich, ausreichend Screentime, um sie uns näherzubringen, ihre Lage und ihre Motivationen zu verstehen. Dabei ist und bleibt Ripley, "der Böse", jedoch stets der klare Protagonist, der dank sehr charismatischer Leistung von Scott die Handlung auch über ereignisärmere Passagen hinweg zu tragen vermag.
Und ereignisarme, eher unspektakuläre Passagen gibt es durchaus reichlich. Es sind auf den ersten Blick belanglos wirkende Szenen, die in einem Spielfilm höchstwahrscheinlich als erstes auf dem Boden des Schneideraums gelandet wären, die aber zugleich auch eine Menge dichter, ja geballter Atmosphäre transportieren. Gelegentlich mag es etwas übertrieben anmuten, wenn uns beispielsweise in epischer Breite gefühlt jede einzelne Stufe einer Treppe persönlich vorgestellt wird, oder wir Tom beim ungewöhnlichen, aber intensiven Hausputz beobachten dürfen.
Doch dann ist da ja noch das positive Totschlagargument dieser Show: die Optik. Die Entscheidung, vollständig in schwarzweiß zu drehen, erweist sich im Nachhinein als goldrichtig. Licht- und Schattenspiele lassen die ohnehin schon größtenteils malerischen Kulissen endgültig zu Gemälden werden, die man sich allesamt so wie gesehen ins Wohnzimmer hängen würde, da sie eine malerische Qualität auszeichnet, von der Dickie Greenleaf nur träumen könnte. Nicht nur in Italien, auch während des noch in New York spielenden Kapitel 1 leistet Robert Elswit an der Kamera ganz Großes, beweist nicht nur ein Auge für tolle Einstellungen, sondern fängt eine höchst ästhetische Noir-Stimmung ein.
"Ripley" ist weit mehr als nur ein Bildband über Italien. Das ist er wahrscheinlich zusätzlich. Die Faszination aber entsteht dabei, den wunderbaren Cast um Andrew Scott dabei zu beobachten, wie Tom seine durchaus vorhandene Intelligenz auf ganz perfide Weise einbringt, sein vollständiges Umfeld für seine Zwecke zu manipulieren versucht, wobei ihm immer wieder die Fäden aus der Hand zu gleiten drohen. Dass man sich häufiger dabei ertappt, diesem intriganten Verbrecher die Daumen zu drücken, ist wohl einer der größten Beweise für die Qualitäten dieser Show. Für zum Beispiel zwei bis drei entschleunigende Sonntagnachmittage auf der Couch eine absolute Empfehlung! Und: Fortsetzung nicht ausgeschlossen, da Netflix sich auch die Rechte für die Adaption der weiteren vier Bücher bereits gesichert hat. Ich würde mich freuen.
In weiteren Rollen:
Kenneth Lonergan (Herbert Greenleaf)
Eliot Sumner (Freddie Miles)
Margherita Buy (Signora Buffi)
Maurizio Lombardi (Inspektor Pietro Ravini)
John Malkovich (Reeves Minot)